Industrialisierte Fleischproduktion
Tierhaltung im Neoliberalismus -
die industrialisierte Fleischproduktion
Die Art und Weise, mit der im Rahmen industrieller Fleischproduktion mit Tieren verfahren wird, sagt viel über das Natur- und Zivilisationsverständnis unserer Gesellschaft und den vorherrschenden Zeitgeist aus. In diesem Kapitel sollen Aussagen analysiert werden, wie sie von Vertretern dieser Fleischindustrie beziehungsweise von Mitarbeitern des Unternehmens „Danish Crown“ getätigt werden. Ergänzt werden soll dies um die politische Dimension durch die Darstellung eines Interview-Ausschnittes mit dem Sprecher des EU-Agrarkommissars.1
Bei der hier dargestellten Fleischproduktion geht es konkret um die industrielle Massentierhaltung von Schweinen. Die Tiere werden in wenigen Wochen geboren, gemästet und geschlachtet. Ohne auch nur ein Mal im Leben echte Erde betreten, frische Luft geatmet, geschweige denn Natur und Instinkt entsprechend im Boden gewühlt zu haben. Die Zeitabschnitte von Säugen, Aufzucht durch die Muttersau und Schlachtung bemessen sich ausschließlich am Optimum ökonomischer Effizienz. Dies wird besonders deutlich im Lichte der folgenden Aussagen.
[Wörtliches Zitat aus TV-Dokumentation:] 2 „Wirtschaftlich betrachtet, habe ich einfach zu wenig Ferkel pro Sau produziert, als die Tiere draußen waren. Bei Freilandhaltung ist die Sterblichkeit im Schnitt zehn Prozent höher als im Stall. Draußen gab es bis zu 24 Ferkel pro Sau. Drinnen überleben um die 30 Ferkel. Das ist ökonomisch betrachtet ein großer Unterschied“
[Zweites Zitat:] 3 „Es wäre besser, wenn wir das nicht machen müßten. Aber letztendlich müssen wir mit der Produktion von Schweinen Geld verdienen. Ich glaube, das hier [der sterile Massenaufzucht- und Schlachtbetrieb, in dem er arbeitet] ist ein guter Kompromiß. […]
Als ich noch ein Kind war, liefen die Schweine noch frei rum und haben dann ihre Ferkel bekommen. Das waren pro Jahr 15 Ferkel. Jetzt produzieren sie jährlich 31 Ferkel. Das ist der Unterschied.“
Diese beiden Zitate von Landwirten, die für die Fleischindustrie und für einen Betrieb der sogenannten Massentierhaltung arbeiten, drehen sich um ein Kernargument: Die Wirtschaftlichkeit, die einem würdigen Umgang mit den Tieren entgegensteht und welcher der Vorrang eingeräumt wird („es wäre besser …“ versus „müssen […] Geld verdienen“). Es wird hierbei gar nicht explizit begründet, weshalb die „Produktion“ von 24 oder 15 Ferkeln pro Sau und Jahr„zu wenig“ sei. Implizit wird als Grund eine Wettbewerbssituation und der Zwang zur Anpassung an Marktbedingungen als selbstverständlich angenommen. Im Zuge dieser Anpassung müßten Effizienzsteigerungen um jeden Preis realisiert werden. Diese vermeintlichen Zwänge scheinen jegliche Notwendigkeit zur moralischen Rechtfertigung aufzuheben.
Im Sinne von Effizienzsteigerungen und Unternehmensgewinnen müsse dementsprechend alles technisch Machbare auch tatsächlich umgesetzt werden, so die Annahme.
Was diese beiden Mitarbeiter komplett ausblenden, ist die Frage nach dem Marktsegment. Die Firma, für die sie arbeiten, bedient ein Segment für möglichst kostengünstiges Fleisch. Verschwiegen wird, daß auch andere Märkte bestehen – etwa der Markt für nachhaltige und oder für ökologische Produkte. Es geht also nicht nur um die Frage, ob die Kosten um jeden Preis gesenkt werden müssen, sondern auch um die Frage, welchen Weg der Produzent bewußt beschreitet, welche Produkte produziert werden und ob es Fleisch sein muß. Mal abgesehen von der Pfadabhängigkeit eines Unternehmens, kann es ebenso gut Tofuprodukte, Sojasauce, Biomüsli oder andere, umweltverträglichere Eiweißlieferanten herstellen.4 Es gibt weder eine betriebs- noch volkswirtschaftliche, noch eine ökologische und erst recht keine moralische Notwendigkeit für die Produktion von Schweinefleisch.
Mit beiden Aussagen wird der ökonomische Wettbewerb als Regulator für die Fleischproduktion akzeptiert. Die Verhältnisse würden durch ihn determiniert und die Konsumenten und Hersteller müßten sich schlicht und einfach anpassen. Ethische und ökologische Fragen trauen sich die Interviewten nicht, deutlich zu stellen. Andere Mitarbeiter kommen sogar überhaupt nicht auf die Idee, moralische Maßstäbe in Erwägung zu ziehen:
[Drittes Zitat aus TV-Dokumentation:] 5
„Wir bekommen lebendige Schweine und schlachten sie. Wir trennen und unterteilen das Fleisch in bestimmte Kategorien. In der Autoindustrie oder ähnlichen Unternehmen ist es ja so, daß man erst einzelne Teile bekommt und die baut man zusammen. Am Ende hat man dann ein neues Auto. Bei uns ist es andersherum. Wir teilen und separieren. Das ist der Unterschied.“
[Zitat aus einem Geschäftsbericht von Danish Crown:] 6
„Biologische Vermögenswerte
Biologische Vermögenswerte, die beim Danish Crown-Konzern lebendige Tiere umfassen, werden zum beizulegenden Zeitwert bewertet, sofern ein aktiver Markt besteht, abzüglich erwarteter Verkaufskosten, oder zu Anschaffungskosten.“
Dort, wo zumindest noch einer der beiden oben zitierten Landwirte und Schweinezüchter moralische Bedenken zu dieser Art von Fleischproduktion äußert, legt der zitierte Herr Laursen eine deutlich konsequentere Ideologie bezüglich seiner Arbeit an den Tag. Er sieht die Einzelteile ehemals lebendiger Schweine als reine Produktionsgüter, ähnlich wie Schrauben und Blechteile für die Automobil-Produktion. In dieselbe Kerbe schlägt der Geschäftsbericht von Danish Crown. Hier werden lebendige Tiere als „biologische Vermögenswerte“ bezeichnet. Man versucht nicht einmal mehr, den Anschein von Respekt oder gar Mitgefühl gegenüber den Lebewesen auszudrücken, aus denen man seine Gewinne zieht.
Diese Wahrnehmung verstärkt sich bei der Lektüre der Internetseite und weiteren Aussagen des Unternehmens:
„Wussten Sie? 7
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… dass Danish Crown einen Internetkatalog mit mehr als 200 Zerlegungen von Schweine- und Rindfleisch entwickelt hat.
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… dass der Schlachthof in Horsens eine überdachte Fläche bedeckt, die ungefähr 10 Fußballfeldern entspricht, d.h. ca. 75.000 m² oder 7,5 ha.
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… dass Danish Crown der größte Fleischexporteur der Welt ist. Die Ausfuhr beträgt jährlich 3 Mio. Euro. […] Danish Crown liefert Schweinefleisch an Kunden in der ganzen Welt.
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… dass Danish Crown jährlich 16,3 Mio. Schweine in Dänemark schlachtet. Wenn sie hintereinander stünden, entspräche das einer Länge von 24.000 km – oder gut ein halbes Mal um die Erde“
„Danish Crown exportiert jetzt schon in 130 Länder. Es bleiben also nicht mehr viele Märkte übrig.“ 8
[Abbildung 11: Bildschirmphotos der Internetseite www.danishcrown.com]
Aus diesen Zitaten sprechen zwei Aspekte einer Weltanschauung: Zum einen wird, wie oben schon festgestellt, erneut klar, daß man ein materialistisches Verhältnis zur „Ware“ hat, die man produziert. Man spricht von Produktionsfaktoren, die in„mehr als 200“ Fleischprodukte„geteilt und separiert“ werden. Hinzu kommt in den Kurzzitaten das Protzen mit Größe und erfolgreichen Globalisierungsaktivitäten. Man möchte mit Größe eine vermeintliche Überlegenheit manifestieren und durch die Bilder Macht- und Weltbeherrschungs-Ansprüche darlegen.
Dies wird auch anhand der Abbildung 11 (unten) deutlich, auf welcher ein recht beleibter Mann in Weiß gekleidet – vermutlich ein Mitarbeiter eines Schlachthofs – auf einer viel kleineren Ziege reitet. Mit einer Hand hält er das Halsband um den Hals des Tieres eng angezogen, mit der anderen hält er der Ziege eine an einem Stock baumelnde Möhre vor. Vermutlich als Köder, damit sie sich vorwärts bewegt. In Kombination mit der Überschrift „Danish Crown auf der ganzen Welt“ kann dieses Bild metaphorisch so gedeutet werden, daß die globale Expansion des Unternehmens auf dem Rücken der Tiere vorangetrieben wird. Diese würden von den Menschen dominiert und manipuliert, damit sie sich in ihrem Sinne verhielten. Ein seltsames Bild, das die Respektlosigkeit gegenüber tierischem Leben abermals unterstreicht.
Auf dem oberen Bild sind einige Mitarbeiter von Danish Crown zu sehen, die sich auf einer Wiese vor einem sehr großen Schlachthofgebäude des Unternehmens befinden. Sie werfen fröhlich Bälle in die Luft, auf denen Weltkugeln abgebildet sind. Dieses Bild soll wohl vermitteln, wie die Firma mit spielender Leichtigkeit ihre Internationalisierungsstrategie verfolge. Der Spruch „Der globale Arbeitsplatz“ stützt diese Interpretation. Die dargestellte Leichtigkeit steht im offensichtlichen Widerspruch zum im Text vielfach unterstrichenen harten Wettbewerb, der auf dem Unternehmen und vor allem auf den Mitarbeitern laste.
Weitere interessante Aussagen finden sich im Geschäftsbericht der Firma:9
„Beim Landwirt haben die Tiere die bestmöglichen Verhältnisse für ein gutes und gesundes Anwachsen, um dadurch Schweinefleisch von ernährungsmäßig hoher Qualität zu erzielen. Im Schlachthof werden die Schweine schonend behandelt, was zu einer hohen Fleischqualität führt […] Die dänische Fleischbeschau ist eine der strengsten der Welt, in der Primärlandwirtschaft sowie in den Schlachthöfen. […]
Die Messung des Wohlbefindens [der Mitarbeiter] wurde dieses Jahr in der Muttergesellschaft zum dritten Mal, in der Tulip Food Company zum zweiten Mal und bei den Angestellten in den schwedischen und deutschen Abteilungen der Tulip Food Company erstmalig durchgeführt. Die Konzernunternehmen arbeiten laufend an der Verbesserung des gesundheitlichen Zustands der Mitarbeiter. […]
Sowohl von den Ressourcen als auch aus wirtschaftlicher Betrachtung ist es daher wichtig, die Verwendung aller Teile des Tieres zu optimieren. […] In den letzten Jahren war die Aufmerksamkeit stark auf genau diese Art von Ressourcenverschwendung gerichtet, die als eine der größten unsichtbaren Klimabelastungen bezeichnet wird.“
Diese drei Absätze aus dem Geschäftsbericht können als typische Relativierungsversuche von Unternehmen verstanden werden, deren Kerntätigkeiten umstritten und/oder nicht mit den Moralvorstellungen größerer Bevölkerungsgruppen vereinbar sind. Man versucht sich hier als ökologisch, als ressourcensparend und sogar als tierfreundlich zu präsentieren. Darüber hinaus wird betont, man sei ein guter Arbeitgeber und behandle seine Angestellten fair. Der Verweis auf die vermeintlich klimafreundliche Strategie des Unternehmens muß klar als Greenwashing bezeichnet werden. Im Sinne der Selbstvermarktung soll das Bild des Unternehmens in der Öffentlichkeit positiv verändert werden, während die unökologischen Konzernaktivitäten unverändert fortbestehen. In Wirklichkeit zählt nämlich ausgerechnet die Fleischindustrie unbestrittenerweise zu den größten Ressourcen-Verschwendern unter allen Industriezweigen.10
Ebenso widersprüchlich mutet die Andeutung an, man bemühe sich in besonderer Weise um das„Wohlbefinden“ der Mitarbeiter. Dies wird anhand folgender Aussagen eines sogenannten Gewerkschaftsvertreters innerhalb der Firma deutlich.
[Aus einem Firmenvideo von www.danishcrown.com:] 11
„Ich heiße Lars Mose und bin 39 Jahre alt. Ich arbeite seit vierzehn Jahren bei Danishcrown. Seit sechs Jahren bin ich dort auch Gewerkschaftsvertreter. Wenn das Unternehmen Einschnitte macht, muß ich den Leuten klarmachen, daß das gut und richtig ist. Sag ich aber zum Beispiel, ‚das liegt am starken Wettbewerb oder so ähnlich‘, ja dann frage ich mich, wen vertrete ich hier eigentlich?
Und ruft man Arbeitermacht und vermittelt nicht, tja dann gibt es nur einen Weg und der führt mit Garantie ganz nach unten. Dann gibt es irgendwann keine fleischverarbeitenden Unternehmen mehr in Dänemark.
Wenn ein Problem auftaucht, müssen wir das später wieder in Ordnung bringen. […]
‚Na Leif, wie läuft die Arbeit hier?‘ [Frage an einen Mitarbeiter, der gerade Körperteile eines Schweins mit einem Messer zerteilt] ‚Na ja, wir haben den ganzen Tag eine Menge zu tun – und manche Tage sind eben besser als andere.‘ [Lars Mose:] ‚Tja, das stimmt schon. Kurz nachdem wir hier anfingen, wurden die Akkordsätze gesteigert. Früher war das anders, da hatten wir mehr Verhandlungsspielraum. Seit wir hier hingezogen sind, ist das nicht mehr möglich. Heute konkurrieren wir mit den Polen. Die arbeiten natürlich billiger als wir, also müssen wir genau die vereinbarten Akkordzahlen erreichen.
Verhandlungen sind heute schwierig. Wenn wir hier bleiben, gibt es kaum Spielraum [tote Schweine ziehen im Film vorbei]. Wir arbeiten in einem Unternehmen, das schnell agieren muß und in dem die Prozesse ständig optimiert werden. Deswegen muß ich meinen Kollegen immer wieder erklären: Wir haben leider keine Wahl, wenn wir überleben wollen. Manchmal ist das für die Betroffenen schwer zu akzeptieren. Da stehe natürlich gerade ich als Gewerkschaftsvertreter vor einem Dilemma. Vor 10 Jahren konnten wir die Interessen der Arbeitnehmer leichter vertreten. Das tun wir natürlich immer noch. Aber es gibt immer öfter Situationen, in denen das nicht so aussieht. Manchmal ist es zwar schwieriger und man muß sich einiges gefallen lassen. Aber ich freue mich immer, wenn sich ein Problem lösen läßt. Und wenn die Kollegen zufrieden sind, weil ich ihnen so oder so helfen konnte.“
In diesem Zitat erklärt ein Gewerkschaftsvertreter, der eigentlich die Interessen der Mitarbeiter vertreten sollte, weshalb alle von der Geschäftsführung gesetzten Bedingungen von den Arbeitnehmern akzeptiert werden müßten. Er spricht wie ein einzeln für sich agierender Vertreter der Arbeitgeberseite von „Einschnitten“ und „Konkurrenz“ mit ausländischen Betrieben, von seiner Meinung nach legitimerweise gesteigerten Akkordzahlen und daß man sich „einiges gefallen lassen“ müsse. Kein Wort von Gewerkschaftsthemen wie Arbeitnehmerrechten, Gehaltssteigerungen, sozialer Gerechtigkeit. Es kann bezweifelt werden, daß dieser Mensch ein Vertreter einer echten, unabhängigen Gewerkschaft ist. Wahrscheinlicher erscheint es, daß er in einer arbeitgebernahen Pseudo-Gewerkschaft organisiert ist (ähnlich wie die „christlichen“ Gewerkschaften in Deutschland).
Herr Mose vertritt eine bestimmte Haltung, welche die Schaffung und den Erhalt von Arbeitsplätzen als höchstes Ziel erklärt. Alle anderen möglichen gesellschaftlichen Ziele werden diesem Hauptziel untergeordnet. Zudem propagiert Mose die uneingeschränkte Anpassung an den globalen Weltmarkt. Er erklärt es für unvermeidlich, in einen Unterbietungswettbewerb um Dumpinglöhne mit benachbarten Ländern einzutreten.
Es darf bezweifelt werden, daß ein solcher Unterbietungswettbewerb mit deutlich ärmeren Volkswirtschaften auf lange Sicht zu gewinnen sein wird, ohne daß der Lebensstandard in diesem Falle Dänemarks deutlich sinkt. Die Frage nach alternativen Möglichkeiten wird auch von Herrn Mose nicht gestellt. Wenn man es genaubetrachtet, nimmt er seine eigene Weltanschauung damit nicht ernst. In der liberalen Wirtschaftstheorie spricht man von komparativen Kostenvorteilen und davon, daß eine zwischenstaatliche Arbeitsteilung sinnvoll sei. Demnach kommt es zu Wohlstandssteigerungen, wenn Volkswirtschaften einen Fokus auf bestimmte Wirtschaftszweige legen und Güter, die woanders günstiger produziert werden können, durch zwischenstaatlichen Handel beschaffen, anstatt diese Güter selber zu produzieren. Wer in diesem Sinne den Markt als höchsten Regulator wirtschaftlicher Aktivität sieht, muß logischerweise auch Flexibilität im Denken propagieren. Wird die Marktargumentation konsequent zu Ende geführt, müßte möglicherweise eingestanden werden, daß der Fortbestand einer Fleischfabrik in Nord-Westeuropa ökonomisch gar nicht sinnvoll ist und daß an der Stelle, an der früher eine Fleischfabrik stand, schon bald etwas Neues, dem Standort Angemesseneres stehen müßte – etwa eine Fabrik für Windkraftanlagen oder Tofuwurst.
Wie schon oben angemerkt, könnte das Unternehmen durch entsprechende Änderungen des Fokus von Massenfleisch auf andere Produkte den Teufelskreis eines aussichtslosen Unterbietungswettbewerbs durchbrechen. So ließen sich mit neuartigen ökologischen Ersatzprodukten mit Sicherheit eine höhere Gewinnmarge und bessere Arbeitsbedingungen realisieren als mit Standardprodukten, die vollkommen austauschbar sind. Es müßte gelten, positive gesellschaftliche Trends aufzugreifen, anstatt einen objektiv betrachtet gesellschaftsschädigenden Pfad weiter zu verfolgen.
Insgesamt werden an diesem Zitat die Widersprüche eines kapitalistischen und rein marktgesteuerten Systems deutlich. Das Wohlergehen der Menschen steht in direktem negativen Verhältnis zur sogenannten Wettbewerbsfähigkeit.12
Die Marktargumentation bezüglich der Fleischproduktion soll an dieser Stelle vom Sprecher des EU-Agrarkommissars auch von der politischen Seite aufgenommen und vertieft werden:
Roger Waite [Sprecher des EU-Agrarkommissars] 13
„Wir haben Tierschutzregeln, die strenger sind als woanders in der Welt. Und es gibt auch – was weiß ich – in Australien, den USA – es gibt genau die gleiche Produktion. Also die versuchen – diese Großerzeuger in Europa – die versuchen mitzumachen. Aber auch mit strengeren Regeln als zum Beispiel woanders in der Welt.
Wenn wir weiter Fleisch produzieren wollen, müssen wir immer noch importieren. Die einzige andere Möglichkeit wäre, daß wir unser Getreide ganz, ganz, ganz … sehr reduzieren und mehr pflanzliche Eiweißpflanzen haben. Und das ist eher unwahrscheinlich. Also der Markt … in der Hinsicht muß der Markt entscheiden.“
[Frage der Journalistin:] „Aber haben wir nicht eine Verantwortung gegenüber – jetzt – den Menschen in Südamerika zum Beispiel?“
Waite: „Ähm, äh … wir haben natürlich äh … eine Verantwortung ab … äh … und ähm … wir sehen, wie das äh … gemacht wird … und äh … auf äh … Regierungsebene natürlich reden wir auch mit den Brasilianern äh … äh und anderen Ländern. Aber ähm, wie ich sage – der Markt entscheidet. Und äh … so ist das.
[…] Der Markt wird entscheiden. Ich denke nicht, daß die gemeinsame Agrarpolitik die Probleme von Welthunger oder Probleme von Hunger in Afrika alleine lösen wird. Wir haben andere Politiken – Entwicklungspolitik zum Beispiel und Investition – die wir da machen wollen. Es ist klar – längerfristig muß in Afrika mehr produziert werden – oder Asien – oder wo. Aber für uns ist wichtig in Europa, daß wir unser Produktionspotential beibehalten, damit wir nicht zuviel importieren.“
Waite spricht in diesen Zitaten über die Fleischindustrie Europas, ihre Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt sowie über Tierschutz und Entwicklungspolitik. Für ihn stehen die Interessen der europäischen Fleischindustrie über Aspekten der Nachhaltigkeit, des Tierschutzes und würdiger Verhältnisse für die Menschen in Südamerika und Afrika. Zugleich versucht er, die mit den Fragen der Journalistin implizierte Kritik zu entschärfen, indem er in puncto Tierschutz auf die angeblich vergleichsweise strengeren Tierschutzgesetze in Europa verweist. in bezug auf die negativen Auswirkungen europäischer Agrarpolitik auf Entwicklungsländer und auf das komplette Versagen der sogenannten „Entwicklungspolitik“ hat er keine Antworten. Vielmehr verweist er auf die Regulation durch den Markt. Obwohl die Probleme ja paradoxerweise ausgerechnet durch den freien Markt entstehen! Dieser Widerspruch scheint ihm jedoch nicht aufzufallen. Wie genau und mit welchen Mechanismen der Markt diese Probleme löst, oder ob er sie gar noch verstärkt, wird außen vorgelassen. Der Hinweis auf den Markt stellt somit keinen Beweis dar, sondern eine oberflächliche Ausrede. Dies wird im Gespräch besonders deutlich, da der Interviewte an einer Stelle verbal ins Stocken gerät und dann als erlösendes Argument auf eben jenen Markt verweist.
Ohne vom eigenen Argument überzeugt zu sein, schlägt Waite als Lösung vor, eiweißhaltige Pflanzen verstärkt in Europa anzubauen und dadurch weniger (prekär produzierte, genetisch veränderte Sojabohnen) importieren zu müssen.14 Dies sei aber nicht wahrscheinlich, fährt er sogleich fort. Wenig verwunderlich, denn er ist Vertreter eines europäischen Agrarpolitikers, der sich offenbar seinerseits der europäischen Agrarindustrie verpflichtet fühlt, die ohne Rücksicht auf Verluste billige Weltmarktnahrung produzieren möchte. Insgesamt ist aber nicht deutlich, wie durch die angesprochenen Maßnahmen „Entwicklungspolitik“ und „Gespräche auf Regierungsebene“ eine tatsächliche Verbesserung der Umstände erreicht werden soll.
In den Aussagen des Sprechers kommt eine zutiefst neoliberale Grundideologie zum Tragen, die keine anderen als wirtschaftliche Argumente im Sinne seines Arbeitgebers und der Agrarindustrie zuläßt. Die hier erkennbar werdende Grundauffassung von Wirtschaft und Welthandel trägt darüber hinaus merkantilistische Züge, zumal das Verlangen nach einem würdigen Leben in Entwicklungs- und Schwellenländern mit dem Hinweis auf die höhere Priorität des Gewinnstrebens der europäischen Landwirtschaft und Agrarindustrie abgewiesen wird. Die direkten Fragen der Journalistin sind Herrn Waite merklich unangenehm, vermutlich, da er weiß, daß seine Antwort für seine Zuhörer nicht befriedigend sein kann oder da er sich in Widersprüche verstrickt, die er in seiner Rolle als Sprecher für den Agrarkommissar vertreten muß.
Um Fleischbeschau im geht es auch im nächsten Kapitel. Es setzt sich mit durch Profitstreben motivierter zwischenmenschlicher Respektlosigkeit auseinander. Konkret geht es um Wettbewerbs-Sendungen im harmlosen Unterhaltungsgewand, in deren Rahmen Menschen für Einschaltquoten und Werbeeinnahmen instrumentalisiert und ausgebeutet werden.
7 Zitate von der Internetseite www.danishcrown.com (Zugriff 03/2012).
8 Zitat aus der oben genannten TV-Reportage von Anne Villemoes, Sprecherin Danish Crown.